Der renommierte Essener Stadthistoriker Dr. Ernst Schmidt wurde am 12. Oktober 1924 in Essen-Borbeck geboren. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte er eine kaufmännische Lehre bei der Essener Lokalpresse. Seine Lebensjahre während des Nationalsozialismus waren von Hitlerjugend, Reichsarbeitsdienst und dem Kriegseinsatz als Wehrmachtssoldat an der Ostfront geprägt. Nachdem Ernst Schmidt 1946 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft nach Essen zurückgekehrt war, trat er in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein und betätigte sich seit 1947 als Parteifunktionär. Mit dem KPD-Verbot 1956 gab er zwar seine Parteifunktionen auf, setzte sich aber weiter für die KPD ein.
1957 begann seine Beschäftigung als kaufmännischer Angestellter bei der Essener Firma Saeger, einem Unternehmen für Krankenhaus- und Anstaltsbedarf, für das er 27 Jahre lang tätig war. 1958 gründete er den "Verlag E. Schmidt in dem bis 1960 auch die von ihm herausgegebene Zeitschrift "Der Ruhrbote" erschien. Im selben Jahr wurde er kurz nach der Veröffentlichung einer Broschüre über die nationalsozialistische Vergangenheit von Richtern und Staatsanwälten in Essen verhaftet, wegen Staatsgefährdung angeklagt und zu einem Jahr und drei Monaten Haft verurteilt, von denen er fünf Monate verbüßen musste. Obwohl Ernst Schmidt 1968 in die neugegründete Deutsche Kommunistische Partei (DKP) eintrat, distanzierte er sich zunehmend von der kommunistischen Partei- und Geschichtsdoktrin. 1983 trat er aus der DKP aus und 1986 in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) ein.
Forschungs- und Sammlungstätigkeit zur Essener Stadtgeschichte
Bereits in den 1960er Jahren zog sich Ernst Schmidt aus der Politik zurück und wandte sich seitdem der Geschichte Essens in der jüngsten Vergangenheit zu. Er sammelte zahllose Dokumente zur Essener Stadtgeschichte für seine Forschungen, mit denen er 1982 im Rahmen der kumulativen Dissertation "Studien zur Lokal- und Regionalgeschichte im Ruhrgebiet unter besonderer Berücksichtigung der Arbeiterbewegung" an der Universität Bremen zum Dr. phil. promoviert wurde. Die von ihm als Grundlage für eigene Vorträge und Veröffentlichungen gesammelten Dokumente wuchsen über Jahrzehnte zu einem privaten Archiv an, das eine der bedeutendsten zeitgeschichtlichen Sammlungen der Bundesrepublik darstellt. Was Ernst Schmidt in seiner Sammlungs- und Forschungstätigkeit antrieb, war – wie er 1990 in einem Interview sagte – "die stolze Geschichte der einfachen Menschen in dieser Stadt". Dies gilt nicht nur für die Geschichte der Essener Arbeiterbewegung, sondern auch für die Geschichte Essens unter nationalsozialistischer Herrschaft. Ernst Schmidt genoss das Vertrauen zahlreicher Bürgerinnen und Bürger, die oder deren Familienangehörige oft Gegner und Verfolgte des Nationalsozialismus waren und die ihre Vor- und Nachlässe dauerhaft seinem Archiv überließen. Diese von Privatpersonen übernommenen Zeitzeugnisse bilden zusammen mit den von Ernst Schmidt gesammelten Forschungsunterlagen das sog. "Archiv Ernst Schmidt", das 1993 von der Stadt Essen angekauft wurde. Es handelt sich um eine einzigartige zeitgeschichtliche Sammlung, die aus den persönlichen Forschungsinteressen und Netzwerken ihres Begründers entstanden ist. Stadtgeschichtliche Sammlungsschwerpunkte sind vor allem die Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert, Verfolgung und Widerstand im Nationalsozialismus sowie die Sozialdemokratie nach 1945. Das Archiv umfasst ca. 12.000 Dokumente, Fotografien, Bücher, Broschüren, Zeitungen, Flugblätter, Zeitzeugeninterviews und gegenständliche Objekte.
Verdienste um die NS-Erinnerungskultur in Essen
Nicht allein als Archivbegründer und Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Publikationen hat Ernst Schmidt die Erforschung, Aufarbeitung und Vermittlung des Nationalsozialismus in Essen wie kein anderer geprägt. Darüber hinaus wurde er zum Initiator der kommunalen NS-Erinnerungskultur: Er wirkte maßgeblich an der Eröffnung der Alten Synagoge als Mahn- und Gedenkstätte der Stadt Essen 1980 mit und rief 1985 den städtischen Denkmalpfad „Essen erinnert“ ins Leben. Ernst Schmidt war ein Pionier und Praktiker der historischen Bildungsarbeit, der neben seinen umfangreichen Vortrags-, und Ausstellungaktivitäten alternative Stadtrundfahren zu den NS-Erinnerungsorten in Essen veranstaltete und als Zeitzeuge in den Essener Schulen junge Menschen authentisch und selbstkritisch über die NS-Zeit aufklärte. Viele Schülerinnen und Schüler, Studierende, Wissenschaftler, Journalisten und Geschichtsinteressierte unterstützte er bei ihren Recherchen sowohl mit seinen Kenntnissen und Kontakten, als auch mit Quellen aus seinem Archiv. Die Gründung der "Arbeitsgemeinschaft Essener Geschichtsinitiativen" als einem breiten bürgerschaftlichen Zusammenschluss von in der Essener Stadtgeschichte engagierten Vereinen, Gruppen und Personen 1991 ging ebenfalls auf die Initiative von Ernst Schmidt zurück. Für seine Verdienste wurden ihm viele Ehrungen und Auszeichnungen zuteil, unter anderem erhielt er 1984 zusammen mit Gustav Streich und Detlev Peukert den Kulturpreis der Stadt Essen, 1985 den Rheinlandtaler des Landschaftsverbands Rheinland; 1996 wurde ihm der Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen, 2002 die Ehrenplakette der Stadt Essen verliehen. Die Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland lehnte er ab. Nach seinem Tod am 16. Dezember 2009 wurde er 2011 namensgebend für den Ernst-Schmidt-Platz vor dem Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv (HdEG), das heute sein Archiv verwahrt und als Erinnerungsort für alle Essener Opfer des Nationalsozialismus pflegt.
Veranstaltung und Ausstellung zum 100. Geburtstag
Anlässlich des 100. Geburtstags von Dr. Ernst Schmidt hat das HdEG den Essener Stadthistoriker am 17. Oktober 2024 mit einem Vortragsabend und einer Ausstellungseröffnung gewürdigt. Eingeleitet wurde die Veranstaltung mit Grußworten des Dezernenten für Jugend, Bildung und Kultur der Stadt Essen Muchtar Al-Ghusain. Auf die Begrüßung folgten fünf Kurzvorträge: Schmidts letzte Assistentin Birgit Hartings (Historischer Verein für Stadt und Stift Essen e. V.) stellte den Menschen und Historiker Ernst Schmidt vor. Arnd Hepprich (Arbeitsgemeinschaft Essener Geschichtsinitiativen) erinnerte an Ernst Schmidt als Initiator der AG. Dr. Jonas Hübner (HdEG), zeigte künftige Perspektiven des Archivs Ernst Schmidt als Erinnerungsort auf. Merlin Goriß (HdEG) stellte die zentrale Rolle des Archivs Ernst Schmidt für die Historische Bildungsarbeit mit den Essener Schulen heraus. Dr. Joachim Thommes (Medienzentrum Ruhr e. V.) präsentierte zeitgenössische Bild- und Tonausschnitte, die Ernst Schmidt wieder lebendig erscheinen ließen. Den Höhepunkt der Veranstaltung bildete die Eröffnung der von Dr. Jonas Hübner kuratierten Ausstellung "Nahaufnahme Dr. Ernst Schmidt". Mit vielfach erstmals gezeigten Exponaten aus dem Archiv Ernst Schmidt wirft sie Schlaglichter auf sein Leben sowie seine Forschungs- und Sammlungstätigkeit. Die Ausstellung ist voraussichtlich noch bis zum Jahresende 2024 im Wechselausstellungsraum des HdEG innerhalb der Öffnungszeiten des Lesesaals zu sehen.